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Tirana - 3

Entschuldigung, wenn ich jetzt hier aus meinem Haus heraus plaudere. Aber ich muss das loswerden. Weil teilen hilft. Oder jedenfalls hoffe ich das. Musikhören hilft auch, wenn ich es laut genug tue, aber das geht beim Einschlafen und beim Aufwachen nicht so gut. Ohropax hilft nur bedingt. Es geht nämlich um eine lautstarke Ehekrise. Sie findet neben meinem Schafzimmer statt, das vielleicht nicht die dickste Wand hat, aber immerhin ist sie aus Beton. Das habe ich schon herausgefunden in meiner Angst, die Ehekrise könnte plötzlich in mein Zimmer hereinfallen. - Aber zur Sache: Ich mag Frauen sehr. Und käme es hart auf hart, würde ich wahrscheinlich eher für mein eigenes Geschlecht einspringen, als für die Männer. Im Falle dieser Ehekrise ist das nicht so. Denn neben mir brüllt am späten Abend wie am frühen Morgen eine Frau jeweils eine gute Stunde lang in der Lautstärke einer veritablen Sirene: Aufdringlich und biestig und ziemlich hysterisch brüllt sie auf einen Mann ein, der sich immer wieder gemässigt zu Wort meldet, und ab und zu versucht, die Wohnung zu verlassen. Was ihm nicht gelingt.  - Die ersten Male dachte ich, dass ich von all dem, was da gesagt wird, nichts verstehe. Aber das stimmt nicht. Heute habe ich begriffen, dass es um einen einzige Sache geht, immer und immer wieder. Sie heißt: QE (mit Umlauttupfen auf dem E) und bedeutet WER? Wer, im Sinne von "wer kümmert sich"? So klingt das. Es geht also um die Verteilung von Aufgaben. Jedenfalls vermute ich das. Was natürlich nichts besser macht, weil das Gefühl der Ungerechtigkeit immer schwer wiegt. Und bei wie auch immer zu verteilenden Aufgaben müssen klare Ansagen gemacht werden. Das habe ich gestern Abend auf dem Empfang der Deutschen Botschaft (anlässlich des 3. Oktobers) kapiert, da hat die Botschafterin, Susanne Schütz, eine Rede gehalten, die dem Land Albanien galt, dessen Ministerpräsident Rama direkt neben ihr stand und die ganze Zeit keine Miene verzog. Ohne auch nur einen Versuch zu machen, sich in diplomatischer Rhetorik zu üben, sagte sie ungefähr: Wir hier tun alles Erdenkliche für dieses Land (Deutschland steckt wirklich Milliarden in Albanien), aber Albanien wird nur eine Chance haben, in der EU aufgenommen zu werden, wenn es ablässt von "Vetternwirtschaft und Korruption". Peng. So hat sie das gesagt. Mir hat das sehr gefallen, es hat mich sogar so beeindruckt, dass ich den ganzen Tag überlegte, wie ich es heute unter die Leute bringe. Ich finde klare Ansagen gut. Man(n) kann sie nicht falsch verstehen. Und vorhin also dachte ich, wenn diese Frau, die hinter meiner Schlafzimmerwand brüllt, mal aufhören würde immerzu WER? zu brüllen und stattdessen vielleicht einfach eine Rede halten würde, in der die Ziele und die Aufgaben für ihren Mann unmissverständlich benannt sind, dann müsste der Kerl nicht mehr versuchen abzuhauen und ihr kleines Kind nicht mehr soviel heulen. 
Außerdem könnte ich besser schlafen. 


Comments

  1. Ein europäische Familienzusammenführung in Tirana - dass es da Streit um die Aufgabenverteilung gibt ist doch kein Wunder. Ich empfehle fünf Halbe zum Einschlafen, deinen Nachbarn, Dir, Papa Rama und Mama Schütz ;)

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