Tirana - 5
Heute vor einer Woche bin ich hier angekommen. Jetzt bin ich da, habe ich gedacht. Und irgendwie hat das ja auch gestimmt. Aber eben nicht wirklich. Es ist, glaube ich, das Adrenalin, das einem dieses Gefühl gibt. Alles ist neu, alles ist anders, und die Notwendigkeit, sich damit zurechtzufinden, lässt gar nicht zu, dass man darüber nachdenkt, wie sich alles Neue anfühlt.
Am Samstag hat sich das Adrenalin verabschiedet.
Am Bazaar wollte mir jemand zehn kleine Feigen für umgerechnet fünf Euro verkaufen, was teurer ist als bei unserem Türken in München. In einem Restaurant wurde ich zuerst für fünfzehn Minuten gar nicht beachtet, dann wurde mir die Speisekarte hingelegt, ohne dass ich gefragt wurde, ob ich etwas trinken möchte, und schließlich liess man mich weitere zehn Minuten unbeachtet sitzen. Ich bin gegangen und habe mir einen freundlicheren Ort gesucht. Dabei fiel mir das Glück ein, immer die Wahl zu haben. Ich bin nicht hier, weil ich zuhause in Not bin, nicht weil Krieg herrscht oder sonst was, auch nicht, weil mir das Geld zuhause nicht reicht, um gut zu leben. Ich wurde am Flughafen abgeholt, ich bin mit einem Handy mit albanischer Simkarte und mit Notfallnummern ausgestattet, man ruft mich an und fragt, wie es mir geht, man verabredet sich mit mir, lädt mich ein, will mir das Land zeigen, die eigene Heimat. Ich habe eine Wohnung, die ich mit niemandem teilen muss und in der ich tun und lassen kann, was ich will. Wenn ich wollte, könnte ich hier in jedem Restaurant essen, ich könnte, wenn die Ehekrise und die Wasserkrise in meinem Haus sich zuspitzen, einfach ins Hotel ziehen. Das ist ein ziemlich luxuriöser Zustand.
Und dennoch hat sich Heimweh eingestellt am Samstag, hat sich die Einsamkeit für ein paar Stunden über mein eigentlich sehr unabhängiges Gemüt gelegt, wie ein dunkles Tuch. Ich war fremd.
(Und klar habe ich mich dann gefragt, was wäre, wenn alle jene "Nationalen Sozialisten", "Alternativen für Deutschland" etc. so ein Gefühl einmal einen Tag lang aushalten müssten. Ob das sowas wie eine Schule der Empathie wäre?)
Das Adrenalin ist nicht wieder gekommen, dennoch bin ich jetzt ziemlich guter Dinge. Ich bin da. Aber ich bin nicht mehr high. Ich habe mich bemerkbar gemacht, als die Krise in der Nachbarwohnung wieder laut wurde, sie wurde leiser. Ich habe Wäsche gewaschen, ich habe mein Bett so zurechtgerüttelt, zurechtgezurrt, dass es nicht mehr quietscht bei jeder Bewegung, die ich im Schlaf mache. Ich habe im Schrank eine Decke gefunden, die wärmer als kalt ist, ich hatte eine gemütliche Nacht. Das Wasser läuft seit mehr als vierundzwanzig Stunden ohne Unterbrechung.
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