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On the Road - Tag 1


So habe ich mir das vorgestellt. Oder eher: gewünscht! Als ich in Tirana in den Furgon nach Pogradec einsteige, einen Bus, der etwa ein Drittel des Maßes eines normalen Busses hat, setzt mich der Fahrer direkt hinter sich. Ich habe keine Ahnung wieso, vielleicht findet er, ich schaue so aus, als müsse ich mich auf der Fahrt leicht übergeben und muss deshalb nahe am Ausgang sitzen. Ganz gleich warum, es ist der perfekte Platz. Ich sehe alles. Und ich höre gut. Über mir ist ein Lautsprecher angebracht, aus dem die ganzen zweieinhalb Stunden Fahrt vom Balkankitsch über den Balkantechno alles laufen wird, was mir das Gefühl gibt: ich bin nicht zuhause. Der Bus ist proppenvoll, der Fahrer hat auch noch einen Beifahrer, der sich auf den Ausklappsitz neben ihn setzt. Auf dem Weg aus der Stadt heraus muss der Bus ein paar mal abrupt bremsen. Ich halte mich fest und sehe, der Beifahrer hat einen Sicherheitsgurt. Ich untersuche meinen Sitz nach einem Sicherheitsgurt. Es gibt die Schließe eines Gurts und es gibt die Schnalle eines Gurts, aber einen Gurt gibt es nicht. Die ältere Dame, die neben mir sitzt, hilft mir bei meinen Untersuchungen, die wir auch auf ihren Sitz ausweiten. Bei dem ist es genauso. Alles Attrappe. Die Dame sagt etwas zum Busfahrer, der sich während der Fahrt halb zu mir umdreht, wahrscheinlich, um zu schauen, ob ich nun schon so blass vor Angst bin, dass ich mich bald übergeben muss. Aber mir ist pudelwohl. Er antwortet der Dame etwas, was ich nicht verstehe und sie fasst daraufhin über mich drüber, um mir die Armlehne hochzuklappen. Wahrscheinlich, damit ich wenigstens nichts nach rechts hinaus auf den Gang kippe, wenn mit unwohl wird. Ich muss lachen und sage auf Deutsch und Englisch, dass alles gut ist und: kein Problem. Jetzt kucken alle. Ich will aber gar nicht, dass der Busfahrer kuckt, er soll auf die Straße kucken. Deshalb beschließe ich, mich von nun an ganz still zu verhalten. Ich sitze ruhig. Ab und zu zücke ich mein IPhone, um ein Foto zu machen, ab und zu tausche ich mich mit der Frau in Gesten über Dinge aus, die ich schon wieder vergessen habe. Eine Sache weiß ich noch: Über den Bergen liegt Mazedonien. Die Geste geht einfach: Die Hand zeigt zuerst aus dem Fenster. Da steht "Dogana". Dann auf die Berge. Dann macht die Hand einen großen Bogen: Das ist der Hügel. Dann sagt die Dame: Mazedonien! Alles klar, sage ich. Po. Was "ja" heißt. Und ich nicke. Plötzlich bin nicht mehr sicher, ob nicken nein heißt. Aber ich glaube, sie hat mich verstanden. Jedenfalls ging das die ganze Zeit so, und als die Dame dann in Lin ausgestiegen ist, das war eine Station vor mir, war ich ganz traurig. 
Apropos Station. Das kann man eigentlich nicht so sagen: Dieser Bus stoppte nach einem undurchschaubaren Prinzip. Ich habe keine Ahnung, ob die Leute davor Bescheid sagten, dass sie am Baum nach der Autowaschstelle in XX aussteigen wollen, oder aufgesammelt werden möchten beim alten Teppich, der dort am Gartenzaun hängt, wo der Fluss sich in ZZ gabelt. Oder wie das geht? Manchmal hat der Bus auch einfach irgendwo gehalten. Dann ist von hinter mir jemand aufgetaucht, hat zum Fahrer etwas gesagt, und der Bus ist nochmals 500-800 Meter (sic!) weitergefahren, um dann zu halten. Damit dieser Mensch (wahrscheinlich) vor seiner Haustüre aussteigen konnte. Egal wie: ich fands toll! Auch dass plötzlich solche Klappschemel auftauchten, auf denen die Fahrgäste, die auf den Sitzen keinen Platz mehr hatten, im Gang sitzen konnten. Und so weiter. Coole Sache. 
Wo ich jetzt bin: In Pogradec am Ohridsee, man spicht das C wi Z. Nur damit Sie es richtig aussprechen. Ich habe dafür Tage gebraucht. Graz, Graz, Graz. So können Sie es sich merken. Dabei sieht es ein wenig aus wie Romanshorn. Das ist auf der Schweizer Seite des Bodensees. Pogradec ist Albanien. Wenn ich aus meinem Hotelfenster schaue, sehe ich Mazedonien. Jetzt am Abend nur noch seine Lichtlein. Der See ist eine Teilmenge.

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