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On the road - Tag 2


Korca. 
Ich steige aus dem Bus, der so ein IVECO-Transporter mit Sitzplätzen ist. Es war nicht wirklich gemütlich darin, weil sich innerhalb der kurzen Zeit, die die Fahrt von Pogradec hierher dauerte, eine Geruchsmischung aus Schweiß, Mottenkugeln und Knoblauch darin ausbreitete und auch die Menschen nicht wirklich freundlich kuckten. Eher so wie in der Münchner U-Bahn am frühen Morgen. 
Ich steige also aus und bin sofort umringt von Leuten, die mir etwas aus ihrem Bauchladen anbieten wollen oder mich mitnehmen in den Markt hinein. Oder sonst was. Es ist erst halb elf morgens und mir ist das ziemlich zuviel. Weil ich kein mobiles Netz habe, habe ich keine Ahnung, wo genau ich mich befinde. Wahrscheinlich sehe ich so auch aus. Deshalb beschließe ich, angesichts der Bedrängung, dass ich erst mal loslaufe. 
Ich gehe keine Minute und peng, stehe ich in einer komplett anderen Umgebung. Alles hier ist ein bisschen wie in Norwich. Entschudligen sie den Vergleich. Aber manchmal hilft das. Norwich liegt in England. Ich war da neulich. Da hat es auch sehr aufgeräumt und stylisch ausgeschaut. So schaut es jetzt plötzlich aus. Als trennen fünfzig Schritte zwei Welten. Wie der Rand einer Münze Kopf und Siegel. Alles ist überschaubar, ruhig und geordnet und so gut renoviert, dass ich sofort stehen bleibe. Und staune. ich drehe mich um und stehe vor einem Hotel. Ich habe keins gebucht. Es ist klein, ein hübscher Mix aus Tradition und Moderne, und es gibt ein Zimmer für mich. 
Ich bin froh. 
Nein: So schnell bin ich lange nicht von Unsicherheit ins Glück gefallen. Ich bin high. Den ganzen Tag. 
Ich sehe viel, mitunter das Mittelalter-Museum, laut der Kunsthistorikerin, die es heute betreut, das einzige Museumsgebäude, das in Albanien ganz bewusst als Ausstellungsgebäude gebaut wurde. Es beherbergt einen exquisit schönen Ikonenschatz, so schön, dass ich am liebsten immerzu fotografieren möchte. Aber es ist verboten. Edi Rama hat es entwerfen lassen, von einem Architekten, der auch einen schrecklich hässlichen Turm hier in die Stadt hineingebaut hat. Peter Wilson heißt der Mann. Das Museum ist von außen auch hässlich. Genauso wie die Stadtbibliothek in Münster, die er auch gebaut hat. Ich vermute dieser Wilson ist ein ziemlicher Altruist: es geht ihm um innere Werte. 

Aber Entschuldigung, wenn ich jetzt einen ganz grassen Sprung mache. Das ist meiner Aufregung geschuldet. Ich denke nämlich bereits an morgen. Tatsächlich fährt nämlich morgen früh um sechs Uhr hier dieser Bus nach Girokastra ab. Niemand wusste, ob er wirklich fährt. In keinem der Reiseforen wurde je über ihn geschrieben. Alle, die die Strecke einmal mit dem Auto gefahren sind, erzählen, dass es die Schönste in Albanien sei. 
Jetzt wird es diesen Bus tatsächlich geben. 
Die Strasse soll teilweise etwas heikel sein. Aber na gut. Mit dem Auto braucht man vier oder fünf Stunden. 
Als ich heute Mittag erfuhr, dass der Bus fährt, habe ich gejubelt. - Heute Abend ist das anders. Seit zwei Stunden denke ich darüber nach, was ich tue, wenn in diesem Bus morgen früh nur der Fahrer und ich sitzen. Oder nur Männer. Ich habe Alketa gefragt, ob ich dann lieber wieder aussteigen soll. Alketa sagt, das soll ich nicht tun. Und dass das eh nicht geschehen wird. Und wenn es so sei, solle ich bitte dennoch sitzen bleiben. Es passiert nichts, sagt Alketa. Außer dass ich vielleicht eine Zigarette mit den Männern rauchen müsse. -  Ich bin Hypochonderin. Wenn ich Schmerzen im Bauch habe, habe ich schnell Krebs. Bei Kopfweh einen Hirntumor, bei häufigen Wadenkrämpfen Multiples Sklerose. Und so weiter. Ich bin also einigermaßen phantasiebegabt. Das ist manchmal gar nicht gut. 






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